Kurzinterview mit Autorin Annemarie Morgenegg

Ihr erstes Buch im Sage und Schreibe Verlag heisst «Für dich öffne ich meine Schublade. Menschen aus Ex-Jugoslawien erzählen». Es gewährt einen unvergleichlich authentischen Einblick – nicht nur ins Leben der Erzählenden, sondern auch in die bewegte Geschichte und Gegenwart des Westbalkans.

 

 

Wie hast du die Interviews mit den 21 Frauen und Männern aus Ex-Jugoslawien erlebt?

Die Offenheit meiner Gesprächspartner*innen, ihre Bereitschaft, mir schon bei unserer ersten Begegnung zum Teil ganz Persönliches zu erzählen, hat mich erstaunt und tief beeindruckt. Vielleicht ist es manchmal einfacher, jemand Fremdem sein Herz zu öffnen? Oft sind während des Gesprächs starke Emotionen zutagegetreten, wir haben nicht nur zusammen gelacht, sondern auch zusammen geweint. Wir haben uns als Fremde getroffen und sind auseinandergegangen, als wären wir alte Bekannte. Alle haben Deutsch, zum Teil Schweizerdeutsch gesprochen, also sprachlich gab es kaum Probleme.

 

Was hat dich an diesen Leuten am meisten beeindruckt?

Beeindruckt hat mich, unter anderem, ihre Direktheit. Ohne lange um den heissen Brei herum zu reden, geradeaus zu sagen, was man denkt.

Wie ist es dir gelungen, diese freien, persönlichen Gespräche so nahbar auf Papier, in die Verschriftlichung zu bringen?

Ich bin ganz frei einfach spontan meinem Instinkt gefolgt, habe mich zuvor auch nicht über ein entsprechendes Vorgehen informiert. Vielleicht hat mir meine Erfahrung als Schauspielerin geholfen, mich in jemand anderen hineinzuversetzen? Mit den Erzählenden habe ich mich auf Augenhöhe zum Gespräch getroffen und jeweils zu Beginn über mein eigenes Leben einiges berichtet. Es gab keinen Fragenkatalog, ich nahm dankbar und ohne zu werten entgegen, was mein Gegenüber bereit war, mir zu berichten. Nachbohren ist nicht meine Art. Nachgehakt habe ich nur, wenn ich etwas nicht verstand.

Welchen Platz nimmt das Schreiben in deinem Leben ein?

Ich habe immer gerne geschrieben. In meiner Jugendzeit hatte man noch Brieffreundinnen auf der halben Welt…und ich schrieb leidenschaftlich gerne Aufsätze in der Schule. Das ist jetzt die Klischee-Antwort, haha. Während meiner Reisen verfasse ich jeweils ein Tagebuch, sende Reiseberichte an meine Angehörigen zuhause. 

Was bedeutet dir dein erstes Buch?

Das Buch ist in ein allumfassendes Projekt gewachsen. Es umfasst mehr, als ich mir zuvor erträumt hätte. Alles war ungeplant und vieles wurde mir irgendwie zugetragen, ganz natürlich und mühelos. Eine Herzensangelegenheit. Die Reise, das Buch, die bleibenden Freundschaften.


Was möchtest du mit deinem Buch bewirken?

Das sage ich nun auch ganz direkt und offen: Ich möchte gängige Vorurteile gegenüber Menschen aus dem Balkan abbauen. Und ich möchte die Augen der Lesenden öffnen für eine Region Europas, welche in der Schweiz vorwiegend auf Desinteresse stösst. Ich weiss, das ist ein hoher Anspruch.

 

Interview: Ladina Uhlmann

 

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